Bundeskanzlerin Merkel und Ministerin Widmann-Mauz als Vorsitzende der virtuellen 13. Integrationskonferenz/Foto: Bundesregierung/Denzel
Einen Job zu bekommen, galt früher vielleicht als ausreichend, um sich als Ausländer erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren. Für Deutschland ist diese Art des Denkens auf dem Weg nach draußen.
Nach fast drei Jahren der Planung und Diskussion haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Spitzen von Staat und Gesellschaft am Dienstag 100 Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Integration angekündigt.
Eine Maßnahme ist die Einführung von "Integrationsscouts", einer Art Buddy-System für Auszubildende. Deutsche Azubis sollen ausländischen Azubis als Mentoren zur Seite stehen, damit niemand durch die Maschen fällt.
"Echter gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht mehr als nur die Abwesenheit von Hass und Gewalt", sagte Merkel. "Er erfordert Toleranz und Offenheit füreinander."
Der Dienstag war Merkels letzter Integrationsgipfel, bevor ihre Kanzlerschaft mit der Bundestagswahl im Herbst zu Ende geht.
Mit Blick auf den Wandel des Integrationsbegriffs in ihrer Amtszeit sagte sie: "Wir haben gelernt, dass Integration nicht nur einige Gruppen betrifft: Sie betrifft die Gesellschaft als Ganzes."
Gegen Pandemie-Rückschläge ankämpfen
Der Gipfel unter der Leitung der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz brachte rund 120 Personen aus Ländern, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen.
In einer Pressekonferenz nach dem Gipfel betonte Widmann-Mauz, wie wichtig es gerade in Zeiten der Pandemie sei, so schnell wie möglich für eine wirksame Integrationsstrategie zu sorgen, um Deutschlands Rolle als "wirtschaftlich starkes, modernes Einwanderungsland für die Zukunft zu sichern."
"Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, jetzt müssen wir alles dafür tun, dass die Corona-Pandemie diese Errungenschaften nicht wieder zunichte macht", sagte sie.
Was ist der Nationale Aktionsplan für Integration?
Der im Jahr 2018 gestartete Nationale Aktionsplan hat das Ziel, einen Fahrplan für die Integration in den 2020er Jahren zu erstellen.
Das Projekt war ein bedeutendes Unterfangen für etwa 300 Partner, die Länder, Städte und schätzungsweise 75 Migrantenorganisationen repräsentieren.
Im Kern gliedert sich der 100-Punkte-Plan in fünf Kategorien, die von Maßnahmen im Vorfeld der Integration, wie z.B. der Schaffung von Erwartungshaltungen vor der Einwanderung nach Deutschland, bis hin zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts durch Bildung und soziale Aktivitäten reichen.
Diskriminierung bekämpfen, sozialen Zusammenhalt fördern
Das Thema Diskriminierung war einer der Schwerpunkte der Gespräche am Dienstag. Merkel und andere Redner auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Gipfel betonten, dass rassistisch motivierte Terroranschläge wie der Amoklauf in Hanau 2020 oder die Morde des NSU ein großer Rückschlag für die Schaffung eines sicheren, inklusiven Umfelds in Deutschland sind.
Neben der Gewaltprävention fordert der Aktionsplan auch den Ausbau von Antidiskriminierungsmaßnahmen wie Beratungsstellen, die Menschen helfen können, die zum Beispiel Hassreden erlebt haben oder wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion abgewiesen wurden.
Ein im Vorfeld des Gipfels veröffentlichter Bericht forderte zudem eine einheitliche Dokumentation dieser Fälle, um besser zu verstehen, wie es zu Diskriminierung kommt.
"Opfer von Diskriminierung dürfen nicht im Stich gelassen werden: Ihre Erfahrungen müssen ernst genommen werden. Dafür brauchen sie Unterstützung durch eine professionelle Antidiskriminierungsberatung", sagte der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, in einer Presseerklärung.
Warum ist Integration in Deutschland so ein heißes Thema?
Integration war in den letzten Jahren das Thema vieler hitziger Debatten in Deutschland, ausgelöst vor allem durch den historischen Zustrom von Flüchtlingen zwischen 2015 und 2019. In diesem Zeitraum hat Deutschland mehr als 1,8 Millionen Asylanträge erhalten, das sind etwa 75 % aller Asylanträge, die in den letzten zehn Jahren gestellt wurden.
Die Diskussionen über den logistischen Umgang mit einer so großen Zahl von Flüchtlingen, die vor allem aus Syrien, Afghanistan und Teilen Afrikas stammen, wurden schnell von Sorgen um die Integration abgelöst.
Tatsächlich warfen die Sorgen um die Integration erneut Fragen über die Integration von Einwanderergruppen auf, die schon lange in Deutschland leben, insbesondere türkische Einwanderer und ihre Nachkommen, die die größte Minderheit des Landes bilden. Trotz einer Verbesserung der Bildungsquoten hatte diese Gruppe laut einer OECD-Studie 2017 immer noch dreimal so häufig Probleme, einen Job zu finden oder auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein wie Deutsche ohne türkische Wurzeln.
Dies führte zu einer größeren Debatte, die von Einwanderungsorganisationen und Einwanderern der zweiten und dritten Generation angeführt wurde, die den Gesetzgeber aufforderten, aus den Fehlern der Vergangenheit bei der Integration zu lernen und Maßnahmen zu fördern, die über Sprachkurse und Arbeitsvermittlung hinausgehen.
Der Zuwanderungstrend in Deutschland geht über die Flüchtlingskrise hinaus
Etwa jeder Vierte, der derzeit in Deutschland lebt, hat ausländische Wurzeln. Dies - und die Tatsache, dass Deutschland bei der Zuwanderung nach den USA an zweiter Stelle der OECD-Länder steht - weist auf eine weitere Facette der Integration hin: Integration geht über Flüchtlinge hinaus.
Dank einer starken Wirtschaft wächst in Deutschland eine dritte Gruppe, nämlich die der Fachkräfte, die aus mehreren Ländern kommen. Den größten Zuwachs haben in den letzten Jahren die EU-Mitgliedsstaaten zu verzeichnen. Im Jahr 2018 machten sie 60 % aller Zuwanderer aus, die nach Deutschland kamen, vor allem aus den benachbarten EU-Mitgliedstaaten. Auch das deutsche Hochschulsystem ist ein Magnet für ausländische Studenten, vor der Pandemie waren über 400.000 an deutschen Hochschulen eingeschrieben.
Gonca Türkeli-Dehnert, Leiterin der Deutschlandstiftung Integration, sagte auf der Pressekonferenz am Dienstag vor Reportern, dass viele junge Menschen, die nach Deutschland kommen, hochbegabt sind und oft zwei Muttersprachen und mindestens zwei weitere Fremdsprachen sprechen.
"Sie müssen nicht hier bleiben und sie werden es auch nicht, wenn das, was sie zu bieten haben, nicht anerkannt wird", sagte sie.
© DW
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https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/13-integrationsgipfel-1873604
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